Chancen und Grenzen der KI-Engine in der Personalarbeit

  • Einleitung

Seit einigen Jahren findet künstliche Intelligenz (KI) Einzug in viele Arbeitsgebiete, auch in Human Resources. KI vereinfacht heute die Suche nach Talenten im Internet, unterstützt beim Kompetenzmanagement, beim Assessment, beim Entwicklungsprozess. Und weitere Einsatzgebiete werden folgen.

In diesem Artikel möchte ich den Fokus auf das KI-basierte Assessment von Talenten und Mitarbeitenden legen. Und hier speziell auf die KI-basierte Auswertung von Videointerviews für die Analyse von Persönlichkeitsmerkmalen. Dies stellt ein „Added Value“ zum standardisierten Videointerview, das die Fa. Viasto vor einigen Jahren etabliert hat.

Wenn eine KI-Engine den Talenten und Mitarbeitenden ein Persönlichkeitsprofil automatisch liefern soll, dann müssen wir bei der Ergebnisüberprüfung unser Augenmerk auf die Gütekriterien des Verfahrens richten: Objektivität, Validität und Reliabilität. Diese und weitere Aspekte werden in der neuen DIN SPEC 91426 beschrieben.

Die Ergebnisse aus der KI-Analyse sind von Qualität der Eingangsdaten abhängig: Emotionale Hinführung der Talente bzw. Mitarbeitende zum Videointerview, Wiederholmöglichkeit; weitere Topics wie Länge der Fragen bzw. der Antworten, Licht- und Tonverhältnisse beeinflussen die Qualität und Aussagekraft der Ergebnisse.

  • Chancen der KI-basierten Videoanalyse

Eine KI-basierte Videoanalyse hat den Vorteil gegenüber den üblichen Fragenbögen: Es handelt sich um eine objektive und stabile Fremdeinschätzung. Objektiv, weil sie nicht von einem Kollegen oder Bekannten durchgeführt wird; und stabil, weil bei Wiederholungen die Bewertungskriterien konstant bleiben. Beide Aspekte sind fürs Recruiting und für die Personalentwicklung sehr relevant.

Zu den üblichen Präsenzinterviews im Recruiting-Prozess stellt eine KI-basierte Videoanalyse eine sehr interessante Ergänzung. Zum einen sehen die Recruiter im Video die Talente und können vorab einen Eindruck gewinnen. Dieser Eindruck wird dann mit den Ergebnissen aus der KI-Engine ergänzt, präzisiert, korrigiert oder bestätigt.

Wir werten mit der KI-Engine Persönlichkeit (Big5 – Modell), Emotionen (nach Paul Ekman), Sprache (nach Karl Bühler) und Kommunikation (nach Riggio) aus.

Eine Zeiteinsparung von bis zu 70% wird von Unternehmen genannt, die dieses Verfahren verwenden (Quelle Retorio.com). Diese hohe Zeiteinsparung ergibt sich aus dem Entfall des Telefoninterviews, der besseren Treffsicherheit der Ergebnisse und der Fokussierung beim Präsenzinterview. Dazu kommen Reduktion der Fluktuation und bessere Passung.  

Bild 1: Aufschlüsselung der auszuwertenden Attribute je nach Position sowohl für Recruiting von Talenten als für Personalentwicklung für Mitarbeitende.

Die Ergebnisse von Eigenschaften, Emotionen und Sprachen erfordern eine Aufnahmedauer von 3 bis 5 Minuten. Die von HR gestellten Fragen sind Bestandteil des Recruiting-Prozesses und müssen positionskonform sein. Sie sollten die zu ermittelnden Attribute anregen und zur Geltung bringen, damit diese von der KI-Engine erfasst werden können.

Durch die KI-basierte Videoanalyse lässt sich nicht nur eine qualitative, sondern auch eine quantitative Bewertung vornehmen. Diese kann man mit dem Jobprofil matchen. Was hier so leicht klingt, unterliegt klarer Grenzen, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden.

Die Wissenschaft ist sich einig, dass die KI im Recruiting Einzug halten wird, denn sie entwickelt sich zunehmend zu einem validen, reliablen und kostengünstigen Werkzeug, das HR auf dem Weg hin zum strategischen Partner unterstützt“ (Lochner und Preuß 2018).

Interessant ist letztlich die Kombination aus KI und Big Data. Durch die Erfassung von vielen Profilergebnissen mit der KI-Engine lässt sich eine Datenbank mit Benchmark Daten erstellen. Auf deren Basis erhält die Personalabteilung „reale“ Jobprofile. Darüber hinaus lassen sich diese Jobprofile mit Performancedaten wie der LEICHTIGKEITS-INDEX verbinden. Damit verfügt das Unternehmen über relevantes Wissen für die Organisation: Wie sieht das Profil von performanten Mitarbeitenden aus? Dies ist eine wichtige Erkenntnis: a) Für den Entwicklungsprozess der Mitarbeitende und b) fürs Recruiting.

  • Grenzen der KI-basierten Videoanalyse

In einer kleinen Studie (N=61) haben wir erste Erkenntnisse gewonnen: Unter welchen Bedingungen sind die ermittelten Ergebnisse aussagekräftig und unter welchen nicht?

Bild 2: Maßnahmen zur Sicherstellung valider Ergebnisse

Bild 3: Die KI-Engine kann in der Personalarbeit eine Hilfe leisten, wenn die Grenzen der Methode beachtet werden.

  • Praxisbeispiele

Um den Nutzen einer KI-Engine zu verdeutlichen, haben wir in einer kleinen Studie (N=61) beispielhaft Vorstände, Gründer, Politiker, Schauspieler, Satiriker in Deutschland und USA analysiert und miteinander verglichen. Die Inputdaten stammen aus öffentlichen YouTube Videos, wo die betreffende Personen Talks oder Interviews gegeben haben.

Die Vergleichswerte waren Eigenschaften wie Offenheit, Ängstlichkeit, Extraversion, Verträglichkeit. Dazu Emotionen und Sprache.

Um signifikante Unterschiede in den Profilen herauszufinden, haben wir die Ergebnisse geclustert: Lokation (USA & EU), Berufe und Positionen. Die erste Überraschung: Die Big5- und Emotions-Profile von CEO von Unternehmen mit analogen (Old Economy) oder digitalen Produkten (New Economy) sind recht ähnlich.

Bei der einnehmenden Sprache (Engaging Language) gibt es nachvollziehbare Unterschiede (Bild 5). Ein Grund hierfür kann darin liegen, dass bestellte Vorstände zumeist älter sind und haben eine stärkere repräsentative Funktion als Gründer. In einer größeren Studie soll dies These bestätigt bzw. verworfen werden.

Bild 4: Einnehmende Sprache von Vorständen (DAX und GAFAM) und Unicorn-Gründern (USA & EU) N=42

Auch bei Berufen wie Politiker, Schauspieler und Unternehmer (hier zusammen Vorstände & Gründer) sind klare Unterschiede in der einnehmenden Sprache (Engagaging Language) festzustellen. (Bild 5). Politiker und Schauspieler brauchen für ihren Job eine einnehmende Sprache. Während Unternehmer (Vorstände und Gründer) bei der Kommunikation den Schwerpunkt auf Zahlen und Produkte legen.

Bild 5: Einnehmende Sprache von diversen Berufen. Unternehmer (Vorstände & Gründer)

Aus einem Big5-Profil lässt sich nicht immer den erfolgreichen Lebensweg eines Menschen ableiten. Dies ist für die Bewertung von Talenten im Recruiting – Prozess zu berücksichtigen. Daher ist eine automatisierte Auswahl nicht empfehlenswert. Als Beispiel seien hier Profile von zwei erfolgreichen deutschen Gründern (Bild 6).

Bild 6: Big5 von zwei erfolgreichen deutschen Gründern. Der Gründer mit dem roten Profil hat es zum Unicorn gebracht, der blaue nicht.

Wie unterscheiden sich Big5-Profile von DAX-Vorständen und Unicorn-Gründern? Gründer scheinen offener, extrovertierter und souveräner als DAX-Vorstände zu sein. Der Alterseffekt wurde hier nicht herausgerechnet. Hierfür liegen keine Erfahrungswerte vor.

  • DIN SPEC 33430
  • DIN SPEC 91426
  • Grasemann, R. in Personalführung 6/2020, S. 4-5
  • Langer, M.; König C. J.; Paparthanasiou, M. (2019): Highly automated job interviews: Acceptance under the influence of stakes”, International Journal of Selection and Assessment, 27 (3), S. 217-234
  • Lochner, K.; Preuß, A. (2018): Digitales Recruiting. Gruppe. Interaktion. Organisation. In Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie (GIO), 49 (3) S. 193-202
  • Campion, M. C. et al. (2016): Initial investigation into computer scoring of candidate essays for personal selection, in Journal of Applied Psychology, 101 (7), S. 958
  • Langer, M. et al. (2018) Algorithmen bei der Personalauswahl – eine kritische und hoffnungsvolle Betrachtung, in: Wirtschaftspsychologie aktuell, 1, 36-4
  • Kanning, U.P. (2016) Über die Sichtung von Bewerbungsunterlagen in der Praxis der Personalauswahl, in: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie A&O, 60, S. 18-32
  • Devenport, T. H.; Ronanki, R. (2018) Artificial Intelligence for the real world, in: Harvard Business Review, 1-2, 6.5.2020 (hbr.org/2018).
  • Costa, P.T.; McCrae R.R. (1992). Revised NEO personality inventory (NEO-PI-R) and NEO five-factor inventory (NEO-FFI) professional manual. Odessa, FI.: Psychological Assessment Resources
  • Schmidt-Atzert, L. et al. (2014) Emotionspsychologie, Kohlhammer, Stuttgart
  •  Krumm, S.; Schmidt-Atzert, K. (2009), Leistungstests im Personalmanagement, Hogrefe
  • Schmidt-Atzert, L.; Amelang, M. (2018) Psychologische Diagnostik, Springer
  • Kanning, U. (2021) Crashkurs Personalpsychologie, Freiburg
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