Im FOCUS.de erschien am 30. August ein Artikel von @Attila Albert mit dem prägnanten Titel: „Diktat der Unternehmensmoral nervt immer mehr Mitarbeiter – sie sind pragmatischer“.
Vor über 10 Jahren haben wir mit Prof. Werner Widuckel nicht nur ein Buch über Arbeitskultur herausgegeben (www.Arbeitskultur.com), sondern auch ein 5-dimensionales Kulturmodell entwickelt (https://tinyurl.com/bp6cbcz8). Damit wollten und wollen wir die Arbeitskultur in den Unternehmen verbessern.
Was jedoch in diesem Artikel der Schweizer Coach Albert erzählt, geht m.E. über eine ausgeglichene Unternehmenskultur hinaus. Ich zitiere Albert: „Fast jedes Unternehmen verkündet so seinen „Purpose” (Zweck), und fast immer heißt der: Grün, Klima und Gender, illustriert mit sorgsam ausgesuchten Fotomodellen aller Hautfarben („Vielfalt ist unsere Stärke. Wir setzen uns für Toleranz, Inklusion und Wertschätzung ein“). Die betriebliche Selbstdarstellung ähnelt dabei eher einer Benetton-Werbung aus den Neunzigern, dem Parteitag der Grünen oder dem evangelischen Kirchentag. Viele Arbeitnehmer nervt diese fast wortgleiche Moral-PR inzwischen, und das hat Gründe“.
Dann ergänzt Albert, dass Mitarbeiter eher pragmatisch sind und handfeste Ziele haben:
✅ ein gut bezahlter, sicherer Job
✅ vernünftige Ausstattung und Atmosphäre
✅ Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Albert will auf die Grundbedürfnisse zurückkommen. Und so bringt er die Bedürfnispyramide des Psychologen Maslow in Erinnerung und übersetzt diese für den modernen Berufstätigen. Daraus kommt folgende Liste von Grundbedürfnissen heraus:
✅ Erwerbstätigkeit
✅ selbst verwirklichen
✅ Selbstüberwindung
Um am Ende des Artikels subsumiert der Coach Albert den Sinn und Zweck der Unternehmen: „Dabei tut ein Unternehmen allein mit guten Produkten und Dienstleistungen bereits ausreichend viel dafür, dass „die Welt jeden Tag ein wenig besser wird”. Es löst damit konkrete Probleme seiner Kunden, schafft Arbeitsplätze und Einkommen für seine Mitarbeiter, Erlöse für seine Eigentümer, Steuereinnahmen und ein praktisches Funktionieren für die Gesellschaft“.
Klar ist, dass der Berater Albert ein Stück Nüchternheit in das überhitzte Thema Unternehmens-Moralismus bringen will. Aus seiner Sicht haben einige Unternehmen -eine kurze Liste hat er aufgeführt- den Bogen überspannt. „Das berühmte Pendel möge in die Mitte kommen“ -so ließe sich der Zweck des Artikels überschreiben.
In diesem Sommer haben wir mit der Fußball-EM und mit den olympischen Spielen gleich zwei große sportliche Ereignisse erlebt. In beiden Fällen hat Deutschland unterdurchschnittlich abgeschnitten, legt man frühere Erfolge als Maßstab. Grund genug, um sich zu fragen: „Ist uns die Lust an Leistung abhandengekommen?“.
1992, d.h. kurz nach der Wiedervereinigung belegte Deutschland den zweiten Platz im Medaillenspiegel. Zwanzig Jahre später waren wir auf Platz 6 abgerutscht. Dies veranlasste ehemalige Olympiasieger zu Kommentaren wie „die Deutschen sind nicht mehr bereit, sich zu schinden, um zu siegen“.
Damit jemand im Wettkampf als Sieger hervorgeht, braucht man Talent, Training, Trainer und Fördermittel. Und dazu kommt eine weitere Komponente: Anerkennung und Wertschätzung in der Gesellschaft.
Im alten Griechenland genossen Athleten große Anerkennung. Gleiches galt für die Wagenlenker im alten Rom. Und wie sieht es heute z.B. bei Leichtathletik aus? Kennen wir unsere Medaillengewinner?
Siege sind das Ergebnis von der Bereitschaft, sich dafür zu opfern: Hartes Training, kein Alkohol, keine Feiern bis Mitternacht usw. Leistungssport heißt Verzicht auf ein bequemes Leben. Sind wir dazu bereit?
Es hat einen Schwimmer gegeben, der 23 Goldmedaillen in olympischen Spielen gewonnen hat. Michael Phelps ist sein Name. Sein Trainer brachte ihn zur totalen Erschöpfung, sodass er sogar im Schwimmbecken vor Müdigkeit weinte. Das war sein Erfolgsgeheimnis: hartes Training.
Viele der hier erwähnten Punkte gelten auch für die Arbeitswelt. Wenn wir Deutschland wieder auf Erfolgskurs bringen wollen, brauchen wir eine aufgefrischte „Kultur der Leistung“. Es geht nicht darum, sich 8 Stunden im Büro oder zu Hause „mit irgendetwas zu beschäftigen“. Es geht darum, ressourcenschonend, d.h. mit wenig Zeit und Aufwand, kundenrelevante und wettbewerbstaugliche Ergebnisse abzuliefern.
Mein Fazit: Lernen wir von den Sportlern, Talent gepaart mit Ausdauer und Training in erfolgreiche Leistung umzuwandeln.
Seit Beginn des Jahrzehnts haben sich drei Begriffe in unseren Alltag verfestigt: Post-Corona, ChatGPT und Generation Z, bekannt auch unter GenZ.
Das Buch „Verzogen, verweichlicht und verletzt“ von Susanne Nickel ist Gegenstand der heutigen Rezension. Die Autorin ist Mitglied der GenX und hat mit Boomer und GenY zusammengearbeitet. Die GenZ hat sie in den letzten Jahren näher kennengelernt. Dadurch verfügt sie über einen Adlerblick von vier Generationen, was ihr einen sehr treffenden Vergleich untereinander ermöglicht.
Die Autorin analysiert -aus meiner Sicht- sehr präziser und frei von Emotionen oder Vorurteilen das charakteristische Verhalten der GenZ. Dazu stützt sie sich auf eigene Erfahrung sowie auf Interviews mit Angestellten in den Unternehmen, die ihre ersten Erfahrungen mit der GenZ bereits gesammelt haben. Die vorgelegte Analyse klingt mir vertraut, und zwar aufgrund meiner Tätigkeit in der Personaldiagnostik, und in der Geschäftsführung eines Start-ups mit jungen Mitarbeitern.
Notwendige Skills für die Arbeit fehlen
Susanne Nickel benutzt Adjektive wie unverbindlich, undiszipliniert, verzogen, um die GenZ zu beschreiben. Dazu kommen weitere Aspekte wie „keine Kompromisse“ eingehen wollen, fehlende Resilienz. Allesamt notwendige Eigenschaften und Skills für die moderne Arbeit.
Frau Nickel ist der Ansicht, dass die GenZ im Wesentlichen von der Erziehung durch die Eltern sowie vom Wohlstand geprägt worden sind. Der Überfluss an Optionen, der fehlende „Mangel“ hat sie maßgeblich beeinflusst.
Lösungsvorschläge
Das Buch bleibt nicht bei der Problemdarstellung stehen. Es präsentiert Lösungen. Die Unternehmen sollen sich auf die GenZ einstellen, ohne dadurch das Geschäftsmodell zu gefährden. Sich darauf einstellen, heißt: Ihre Bedürfnisse ernst nehmen. Und zugleich Maßnahmen der Personalentwicklung anbieten, Grenzen setzen, Regeln definieren. Und das bekannte Fördern/Fordern.
Lassen wir Frau Nickel zu Wort kommen: „Der Arbeitgebermarkt hat sich zu einem Bewerbermarkt gewandelt, was mit dem Fachkräftemangel zu tun hat., aber nicht nur. Junge und jüngere Leute haben eine Anspruchshaltung, die sie ohne Umschweife zum Ausdruck bringen. Die Wohlstandskinder der GenZ fühlen sich zu Höherem berufen“.
Aus meiner Sicht subsumiert dieser Satz das Buch und die GenZ.
Die Generationen Y und Z legen einen großen auf die Kultur bei der Auswahl der neuen Arbeitgeber und stellen die Sinnhaftigkeit der Arbeit in den Vordergrund. Arbeit als Pflicht spielt für sie eine geringere Rolle als bei älteren Generationen. In diesem Artikel erklären wir wie die Kultur einen guten Fit zwischen dem Unternehmens- und den Mitarbeitenden-Profilen erzielen kann. Die Merkmale einer NEW WORK-konformen Kultur werden erklärt und wie diese in ein HR-Tool hinterlegt werden. Die Bedienung des Tools lässt sich zwar leicht durchführen, die richtige Herausforderung liegt jedoch darin, etwaige Transformation der Kultur in Gang zu setzen und zu stabilisieren. Das hier vorgestellte HR-Tool ThinkSimple+ hilft bei der Visualisierung der verschiedenen Stadien im Transformationsprozess. Anhand von mehreren KPI kann HR den Impact der Verbesserung des Cultural Fit analysieren und dokumentieren.
Vorwort
Frithjof Bergmann hat vor ca. 40 Jahren den Begriff NEW WORK eingeführt. Damit gab er der neuen Gestaltung der Arbeit einen Namen. Die passende Kultur zur neuen Form der Arbeit wurde NEW CULTURE bezeichnet. Erst vor ca. 5 Jahren nahmen NEW WORK & NEW CULTURE Fahrt auf und wurden peu à peu in die Unternehmenswelt eingeführt. Angefangen bei den Startups, und anschließend bei gestandenen Unternehmen.
In diesem eBook behandeln wir folgende Themen: Kultur als Begriff, Beschreibung von NEW CULTURE als Partnerin von NEW WORK und Impact des Cultural Fit auf die Performance im Unternehmen.
Bereits 2014 haben die Professoren Werner Widuckel, Max J. Ringlstetter, Dieter Frey und ich den Band „Arbeitskultur 2020“ herausgegeben. Auslöser dieses Buches war der niedrige Wert des Gallup – Indices. Unsere Vision war die Verbesserung des besagten Indices von damals 15% auf 20% im Jahr 2020. Sie erahnen es. Wir haben mit dem Buch das Ziel nicht erreicht, wohl aber eine neue Sensibilität für die Bedeutung der Kultur im Unternehmen.
Das Buch „Arbeitskultur 2020“ erfasst die Kulturen von jungen und älteren Unternehmen. Und obwohl damals NEW WORK noch nicht so präsent war, zeichneten sich schon große Unterschiede im Kultur-Verständnis in den Unternehmen ab, hauptsächlich in der Art der Führung: Transaktionale Führung bei den älteren Unternehmen und transformationale Führung bei den jüngeren Unternehmen.
Einleitung
Die Überschrift des Artikels stellt eine Verbindung zwischen Kultur und Performance. Sprechen wir in dieser Verbindung von Korrelation oder Kausalität? Nach Peters & Watermann (1993) handelt es sich um eine Kausalität. Im Verlauf des Artikels erklären wir die Gründe für diese Kausalität.
Malcom Gladwell schlägt in die gleiche Kerbe und behauptet, dass die vier Hauptfaktoren für herausragende Leistungen sind: Talent, Kultur, Zufall und Fleiß (Zitat aus B. Weibel 2014).
„Dass es die Motivation von Mitarbeitern fördert, wenn sie stärker in betriebliche Entscheidungen eingebunden, gilt zwar als Faustregel schon lange – doch die damit verbundene Steigerung der Produktivität ließ sich bisher in der realen Arbeitswelt kaum nachweisen. Wissenschaftlern an der University of Massachusetts und dem Middlebury College im US-Bundesstaat Vermont ist das nun gelungen“ Gerhard Fehr (2010). Diese These wird in der Studie von Pete Sanborn, Ken Oehler (2014) bestätigt.
Wenn wir uns die Handlungsmotive der Generationen X und Z anschauen, dann fällt dabei ein wichtiges Kriterium auf: Pflicht vs. Spaß. Während für die Babyboomer der Gen X das Pflichtbewusstsein eine wichtige Rolle im Arbeitsalltag spielt, ist für die jüngere Gen Z der Begriff Identifikation mit der Aufgabe, und damit der Spaß ein entscheidender Faktor für die Leistungsbereitschaft.
Vor kurzem habe ich eine studierende Arbeitskraft gefragt, wie lange sie bei uns arbeiten möchte? Die Antwort so einfach, wie echt: „Solange es mir Spaß macht“. Der Begriff Spaß hier soll nicht als eine Art Wohlfühlgefühl verstanden werden. Die Gen Z besitzt einen siebten Sinn für Sinnhaftigkeit. Der alte Spruch: „Das muss getan werden, das ist ihre Pflicht“ wird durch die Sinnhaftigkeit der Aufgabe ersetzt: „Das machen wir, damit unsere Kunden erfolgreicher werden, damit schonen wir die Umwelt, usw.“ Ein Unternehmen in der NEW CULTURE braucht ein Purpose. Dieses eint und bewegt die Mitarbeitenden…und die Kunden.
Die Firma ist keine Wohlfühlveranstaltung habe ich 2014 in einem Artikel über Arbeitskultur geschrieben. Dieser Satz hat an Aktualität nicht verloren. Und trotzdem, in der Studie The Future of People Management Priorities von BCG 2021 wird auf die Notwendigkeit einer inspirierenden Kultur hingewiesen: „foster affiliation by sharpening the organization´s purpose and culture to inspire employees”.
In den letzten Jahren sprechen Personaler von People Culture und weniger von Unternehmenskultur. Daher werden wir im Weiteren diesen neueren Begriff auch verwenden.
People Culture
Werner Widuckel (2014) hat in seinem Artikel „Herausforderungen für die Zukunft der Arbeit“ den Begriff People Culture mit den Worten beschrieben: „Werte und Normen, die das Handeln und die sozialen Beziehungen der Individuen in einer Organisation prägen“.
Bild 1: Spannungsfeld der People Culture (auch Arbeitskultur genannt).
People Culture befindet sich in einem Spannungsfeld von konfliktgeladenen Interessen der agierenden Stakeholder, Bild 1.
In der oben erwähnten BCG Studie von 6/2021 werden Hauptthemen für die Personalabteilung skizziert, Bild 2. Darin werden neben Talent Management auch Purpose, Leadership und Culture Change aufgeführt.
Bild 2: Wichtige Themen in der Personalarbeit (aus der BCG Studie 6/2021).
Im oben erwähnten Buch „Arbeitskultur 2020“ haben die Autoren folgende Aspekte der People Culture hervorgehoben:
Flexibilisierung der Beschäftigungsformen
Führungs- und kulturbedingtes Engagement der Mitarbeitenden
Verankerung der Innovation im Kulturprofil
Impact der digitalen Tools auf die Kommunikationskultur
Notwendigkeit von Freiräumen für die Enterprise 2.0
Dynamische Anpassung in einem wachsenden Unternehmen
Interne Kommunikation im Spannungsfeld zwischen Offenheit und Intimität
Transformierende Elemente im Kulturprofil
Unbewusst gelebte Kultur
Mitbestimmung als Teil der Kultur
Vertrauen als Säule des Handelns
Führung von unten als Element der Kultur
Generationen übergreifende Kulturelemente
Kompatibilität mit Familie und Gesellschaft
Lernen als Bestandteil der Kultur
Anschließend möchte ich einige Beispiele von postulierten und gelebten People Culture in Unternehmen. G. Olesch (2014) präsentiert das drei-Säulen-Modell seines Arbeitgebers PHOENIX CONTACT: Werte, Beziehungen zu Kunden und Lieferanten und Vertrauen zur Förderung der Entwicklung der Mitarbeitenden, Bild 3.
Bild 3: Die drei Säulen der People Culture des Unternehmens PHOENIX CONTACT
Das Kulturmodell vom jungen Unternehmen Beekeeper bestand im Jahr 2014 aus folgenden Werten (Grossmann & Slotosch 2014):
Ehrlichkeit und Integrität
Ergebnisorientierung
Kontinuierliche Verbesserung
Einfachheit des Handelns
Lachen als Haltung
Heiner Huber und André Steiner (2004) haben mit dem Buch „das Lachprinzip – Wie man sich erfolgreich glücklich und gesund lacht“ eine neue Komponente für die NEW CULTURE herausgearbeitet: Das Lachen zur Förderung des Erfolges und des Glücks.
Bild 4: Erklärvideo der People Culture von bekannten Unternehmen. Link zum Video
Ergänzend zu Huber und Steiner formulierte neulich Prof. Nico Rose: “Glücklichsein führt zum Erfolg”.
Aspekte der NEW CULTURE
Seit dem Beginn der Corona-Zeit kommunizieren Mitarbeitende wegen Homeoffice hauptsächlich digital. Auch die Führung ist digital.
Nickel und Keil (2021) haben in ihrem Buch „Führung auf Distanz“ die aus dem Homeoffice – Work entstandenen Herausforderungen beschrieben. Diese betreffen sowohl die Führungskräfte als auch die Geführten. Laut Nickel bilden bekannte Werte wie Vertrauen, Empathie, Fehlerkultur die Basis für diese digitale Form der Zusammenarbeit.
Wie oben erwähnt, NEW CULTURE ist aufgrund mehrerer Einflussfaktoren entstanden: Betonung der Sinnhaftigkeit der Arbeit, ein verändertes Verständnis von Arbeit durch Gen Z, die VUCA – Welt und die Digitalisierung, Bild 5.
Bild 5: Haupteinflussfaktoren für die NEW CULTURE.
Ende des vorigen Jahrhunderts wurde mit „Work – Life – Balance“ ein Schutz gegen die Ausbeutung der Gen X eingeführt. Diese Generation neigte zu langen Arbeitstagen mit vielen Überstunden und geringer Freizeit. Die Arbeit wurde nicht als Teil des Lebens verstanden! Arbeit war in deren Augen eine Last. Leistung stand im Vordergrund und nicht die Sinnhaftigkeit.
Brandes und Thielecke (2018) haben in ihrem Buch „Fit für NEW WORK“ ein anderes Postulat aufgestellt: „WORK & LIFE CULTURE“. Und das ist das wahre Novum der neuen People Culture: Arbeit und Leben sind kompatibel, weil der Purpose des Unternehmens und der Mitarbeitenden eine große Schnittmenge aufweist. In späteren Abschnitten werden wir diese Überschneidung in Form von Cultural Fit präzisieren.
Bekannte Werte -wie Autonomie des Handelnden- werden in der NEW CULTURE wichtiger, weil Gen Z vielmehr Freiräume braucht als frühere Generationen. Im Bild 6 haben wir charakteristische Werte der NEW CULTURE aufgestellt.
Laut einer Studie von Glassdor (The Harris Poll) von 2019 informieren sich 77% der Bewerbenden über die Unternehmenskultur, bevor sie sich für eine Stelle bewerben. 58% sagen sogar, dass die Kultur wichtiger als das Gehalt ist. Die Bedeutung von Mission und Purpose liegt bei 89%.
Diese Angaben verdeutlichen die Bedeutung der Kultur für jüngere Generationen. Vergleichswerte von älteren Generationen liegen uns nicht vor.
Bild 6: Charakteristische Werte von NEW CULTURE.
Cultural Fit und seine positiven Wirkungen
Marco Nink (2014) schreibt in seinem Artikel „Der Mensch bleibt Mensch“, dass die „Emotionale Bindung die Produktivität steigert und die Fluktuation sink“. Und ein weiterer Leitsatz „Führung ist ein wesentlicher Treiber der emotionalen Bindung“.
Damit gibt uns Marco Nink einen klaren Hinweis: Der Cultural Fit muss die emotionale Bindung und die wahrgenommene Führungsqualität berücksichtigen.
Daniel Dirks vom Gartner ist der Auffassung, dass „Organisationen zu einer Mitarbeiter-geführten Kulturdiagnose übergehen sollen“. Das will heißen, Unternehmen sollen die Mitarbeitenden regelmäßigen nach ihrer wahrgenommenen CULTURE befragen. Anders ausgedrückt: Unternehmen sollten ihren Cultural Fit analysieren.
Für die Ermittlung des Cultural Fit haben wir bei ThinkSimple zusammen mit Prof. Werner Widuckel von der Universität Erlangen-Nürnberg (2018) ein Kulturmodell entwickelt, Bild 7. Das Modell baut auf den Theorien von Deci & Ryan (2014) sowie Hackmann & Oldmann (1975) und McClelland (1987) auf.
Dieses Modell wurde in unser HR-Tool ThinkSimple+ integriert, damit Unternehmen den Cultural Fit ermitteln können.
Bild 7: Kulturmodell von ThinkSimple entwickelt in Zusammenarbeit mit Prof. Widuckel, Universität Erlangen-Nürnberg.
Die von Daniel Dirks vorgeschlagene Kulturdiagnose erfolgt beim HR-Tool ThinkSimple+ in 3 Schritten, Bild 8.
Bild 8: Die ersten drei Schritte bei der Kulturdiagnose zur Ermittlung des Cultural Fit.
Ein Kulturmodell in eine Software einzugeben, ist eine einfache Übung. Schwierig ist es jedoch, sich Klarheit über die Ausgestaltung des Kulturmodells fürs Unternehmen zu verschaffen. Wie Prof. Widuckel oben formulierte, das Kulturmodell befindet sich im Spannungsfeld der Stakeholder: Geschäftsleitung, Betriebsrat, Führungskräfte und Mitarbeitende.
Ist das Kulturmodell von allen Stakeholdern abgesegnet, so wird der Cultural Fit dadurch ermittelt, dass die Mitarbeitenden ihr Kultur- und Motivationsprofile in die Software hinterlegen. Die Personalabteilung kann dann geclustert nach Organisationseinheiten den Cultural Fit ermitteln. In Bild 9 haben wir das Kulturprofil des Unternehmens (Ocker) den Antworten der Mitarbeitenden (Grau) gegenüber gestellt. Die Abweichungen hier am Beispiel der Führung sind massiv. Und es überrascht nicht, dass der zugehöriger Cultural Fit nur 56% beträgt.
Bild 9: Vergleich zwischen dem Führungsprofils des Unternehmens und der Mitarbeitenden vor der Anpassung. Beide Profile haben eine geringe Abdeckung. Das System ermittelt von den fünf Dimensionen in diesem Fall einen Cultural Fit von 56%. Ein guter Wert beginnt bei 70%.
Dank des ermittelten Cultural Fit (Bild 9) erkennen die Stakeholder (Personalabteilung und Führungskräfte), dass das ursprüngliche Kulturprofil nicht den Vorstellungen der Mitarbeitenden entspricht. Die Stakeholder erhalten klare Hinweise für eine Änderung. Und damit wird der vierte Schritt eingeläutet: Die Überprüfung und Anpassung der Kulturprofils des Unternehmens, um die Mitarbeitenden „abzuholen“.
Beim anschließenden Vergleich beider Profile stellt sich eine bessere Übereinstimmung ein, Bild 10.
Bild 10: Der vierte Schritt ist der wichtigste: Überprüfung und Anpassung des Kulturmodells des Unternehmens, um die Mitarbeitenden „abzuholen“. Im Bild der Vergleich des Führungsprofils zwischen dem Kulturprofil des Unternehmens und den Mitarbeiterprofilen nach der Anpassung.
Der zugehörige Cultural Fit beträgt jetzt 73%, Bild 11.
Bild 11: Cultural Fit vor und nach der Änderung des Kulturprofils des Unternehmens. 56% ist aus unserer Erfahrung ein schlechter Wert, daher in orange. Kulturprofile sollen einen Wert von 70% oder höher ausweisen.
In diesem Artikel haben wir uns auf die Erklärung der softwareseitigen Maßnahmen beschränkt. Relevant für eine Kultur ist nicht das, was in die Software eingetragen wird, sondern wie diese Kultur gelebt -und von der Führung vorgelebt- wird. Erst dann entfaltet die Änderung der Kultur positive Effekte.
Sinnvollerweise soll das Unternehmen vor und nach der Kulturdiagnose KPI wie Engagement, Zufriedenheit, Performance, Fluktuation analysieren, um den Impact der Änderungen in der Kultur zu messen.
In einer geplanten Studie wollen wir die quantitative Verbesserung der KPI-Werte durch die Verbesserung des Cultural Fit beschreiben. Aufgrund der Ergebnisse von Gallup-Studien, von Universitäten und von firmeninternen Erfahrungswerten lässt sich heute sagen, dass der Beweis des qualitativen Impacts möglich sein sollte.
Takeaways
Hier listen wir unsere Vorschläge für Ihre Personalarbeit:
Führen Sie regelmäßig Kulturdiagnosen in den Fachbereichen durch, um die Schnittmenge möglichst groß zu halten
Legen Sie Maßnahmen zur Kulturverbesserung Ihrer Mitarbeitenden in den Zielvereinbarungen fest
Hoher Cultural Fit ist wichtig sowohl für Bewerbende als auch Mitarbeitende
Zeigen Sie möglichst früh auf der Karriereseite Ihr Kulturprofil und bieten Sie Ihren Kandidaten die Messung des Cultural Fit an
Quellen
Bergmann, F. (2019) NEW WORK – NEW CULTURE – Work we want and a culture that strengthens us
Brandes, C., Thielecke, S. (2018) „Fit für NEW WORK”, Haufe, Freiburg
BCG Studie (2021) The Future of People Management Priorities by Jens Baier et al.
Deci, Ryan (2014) Intrinsic Motivation and Self-Determination in Human Behavior
Grossmann, C., Slotosch, A. (2014) Die Unternehmenskultur in Startups – ideale Voraussetzung für den Einsatz von Social Media im Intranet? Erschienen in Arbeitskultur 2020, Springer Verlag
Hackmann & Oldmann (1975) Job Characteristics Model and Job Diagnostic Survey
Huber, H., Steiner, A. (2004) „Das Lachprinzip – Wie man sich erfolgreich glücklich und gesund lacht“, Eichborn
McClelland (1987) Human Motivation, New York, Cambridge Books
Sanborn, P., Oehler, K. (2014) „2014 Trends in Global Employee Engagement“, Aon Hewitt
Weibel, B. (2014) Simplicity – die Kunst, die Komplexität zu reduzieren, Verlag Neue Zürcher Zeitung
Widuckel, W., de Molina, K. (2018) Seminarunterlagen über Arbeitskompetenzen und Motivation, Nürnberg
Der Autor
Dieser Artikel fußt auf der gesammelten Erfahrung des Autors in über 10 Unternehmen unterschiedlicher Größe: Vom DAX-Konzern über Mittelständler bis hin zum eigenen Start-up mit 15 Mitarbeitern. Regionale Unterschiede (7 Bundesländer) sowie öffentlicher Dienst (Universität) wie produzierendes Gewerbe in der Automobilzulieferindustrie oder reine Dienstleistung in Software-Unternehmen. Dazu unzählige Unternehmen, mit denen der Autor als Kunde bzw. als Lieferant in enger Beziehung stand. Dieser „Unternehmens-durchmarsch“ ermöglichte einen Einblick in viele Unternehmenskulturen: Gute wie schlechte. Der Autor hat zahlreiche Seminar für Führungskräfte-Entwicklung im Bereich Kompetenzen, Performance, Komplexität, Arbeitsmethoden, Stressresistenz geleitet. Er hält seit Jahren Seminare in deutschen Universitäten über Kompetenzen, Kultur und Motivation; und hat Bücher und Artikel darüber geschrieben. Der Autor hat das Tool ThinkSimple+ entwickelt, wo der Cultural Fit sowie ein Performance-Potenzial-Index ermittelt werden.
Anja Förster und Peter Kreuz sind der Auffassung, dass hauptsächlich vier Faktoren für die Motivation von Mitarbeitenden und Führungskräften verantwortlich sind: das Streben nach Lust, Geld, Macht und Ansehen ist der Treibstoff für unser gegenwärtiges gesellschaftliches System“ (vgl. Hört auf zu arbeiten! Pantheon, München, 2013). Aus den vier Faktoren ragt einer – meinen wir zumeist – besonders heraus: „Geld ist der Gott unserer Zeit“…so Heinrich Heine.
Vor wenigen Tagen fragten sich Analysten, wie die Deutsche Bank in Zukunft gute Investmentbroker zu gewinnen gedenke. Jetzt, wo sie die Boni reduziert hat.
Vor diesem Hintergrund wirkt meine Behauptung wie eine Zumutung, dass gute Mitarbeiter günstiger sind.
Bin ich weltfremd? Vielleicht… vielleicht aber auch nicht!
Ein Freund von mir pflegt, alle zwei Jahre neue Schuhe zu kaufen. Er meint, sie sind mit ca. 60,-€. nicht teuer. Der einzige Hacken: sie halten nur ein Jahr.
Andere Freunde kaufen sich deutlich teurere Schuhe: 200,-€. Diese halten jedoch 5 Jahre, d.h. sie kosten 40,-€ pro Jahr. Anders ausgedrückt: 33% günstiger!
Gilt dies auch für Mitarbeiter? Ist der Vergleich nicht herabwürdigend?
Versetzen Sie sich in die Rolle des Abteilungsleiters einer Engineering-Firma. Er heißt in diesem Fall Dieter. In seiner Abteilung werden Projektmitarbeitende für Kundenprojekte eingesetzt. Dieter will eine neue Stelle besetzen. Die Personalabteilung hat im Recruitingprozess zwei ausgezeichnete Kandidaten herausgefiltert. Einer ist deutlich teurer als der andere. Dieser kann jedoch höchste Projektqualität, Termintreue und Schnelligkeit vorweisen. Beim günstigeren Mitarbeitenden ist sich Dieter nicht so sicher, ob Qualität, Termintreue und Schnelligkeit stimmen werden. Und diese drei Faktoren sind für die Kundenzufriedenheit und Margen sehr relevant.
Wen wird Dieter einstellen? Teure und gute Mitarbeiter sind anspruchsvoll, sie wollen Karriere machen, denkt er. Was also tun?
Ich war jahrelang in der Position von Dieter und meine Erfahrung hat mir gezeigt, der teure Kandidat ist die bessere und dazu noch die günstigere Wahl.
„Das Streben nach Lust, Geld, Macht und Ansehen ist der Treibstoff für unser gegenwärtiges gesellschaftliches System“
(Anja Förster und Peter Kreuz, „Hört auf zu arbeiten!“ Pantheon, München, 2013)
Zurück zu unserer Erzählung: Eines Tages blieb ich meinem Vorsatz nicht treu und stellte den günstigeren Mitarbeiter ein. Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten: Kunden vergrault, Margen futsch, Termine nicht eingehalten, teure Überstunden, Kosten und Verluste ohne Ende, etc.
Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn erlebte ich eine bizarre Situation. Innerhalb eines Jahres stellte das Unternehmen fünf promovierte Ingenieure ein. Die Firma war der Meinung, dass gleiche Ausbildung gleiches Gehalt zu bedeuten habe. Einer der fünf war Dirk (Name geändert). Während vier der fünf Doktoren nach 5 Jahren nicht mehr da waren, ist Dirk noch bis heute im Unternehmen. Ich besuchte Dirk vor 2 Jahren in der Firma. Er saß nach wie vor im gleichen Büro, hatte immer noch die gleiche Telefonnummer, saß am selben Schreibtisch…und schimpfte wie eh und je über die Firma.
Während unserer gemeinsamen Zeit hatte ich diverse technische Lösungen erarbeitet, die Dirk betrafen. Ich habe diese mit Dirk abgestimmt, was nicht leicht war. Wir kamen jedoch zu einem Kompromiss. Dieser währte jedoch nicht lange – und so schimpfte Dirk wieder lauthals.
Dirk ist für mich der Inbegriff des günstigeren Mitarbeitenden, der jedoch immense Summen an Geld kostet. Dirk hat während der gemeinsamen Zeit – das waren immerhin 5 Jahre – keine einzige gute Lösung präsentiert. Dirk wurde ausschließlich aufgrund seiner Fachkompetenz eingestellt. Diese hatte er, ohne Zweifel. Intelligent war er, ohne Zweifel. Nutzlos war er, ohne Zweifel.
„Gleiche Arbeit, gleiche Bezahlung.“ So propagieren die Gewerkschaften. Dieser Satz ist weltfremd. Ich kenne keine zwei Menschen, die die gleiche Arbeit verrichten, auch wenn sie in derselben Abteilung sitzen und vermeintlich die gleiche Arbeit verrichten.
Mein Plädoyer: Die besten Kandidaten einstellen und leistungsgerecht bezahlen, d.h. höchst differenziert.
Personalauswahl ist eine der schönsten und zugleich schwierigsten Aufgaben in einem Unternehmen. Schön, weil es sich um Menschen handelt. Schwierig aufgrund der Tragweite und weil Menschen zu bewerten, eine hohe Kunst der Psychologie ist: Objektivität, Fairness, Angemessenheit, Eignung usw.
Anhand der Werte aus der firmeneigenen Datenbank lassen sich die Ausprägungen von relevanten Attributen analysieren. Und hier im Vergleich von Führungskräften mit Experten. Diese Ausprägungen in den Kompetenzen, Eigenschaften, Emotionen und Sprachformulierungen können Hinweise für die Personalauswahl liefern. Sei es im Executive Search, Talentmanagement, Nachwuchsprogramme usw.
In späteren Studien sollen weitere Attribute wie Werte, Motive und Präferenzen ebenfalls datenbasiert analysiert werden.
Führungskräfte bilden die Säulen eines Unternehmens und beeinflussen maßgeblich dessen Geschicke. Daher legen Personaler*Innen (im Folgenden wird der Lesbarkeit wegen auf die Sterne verzichtet) den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf die Auswahl und Weiterentwicklung der Führungskräfte.
Für die Auswahl sowie Weiterentwicklung sind objektive Kriterien erforderlich. Hierfür sind Kompetenz- und Persönlichkeitsprofile neben Führungsstil eine gute Hilfe. In diesem Artikel werden wir einige Merkmale der Profile von Führungskräften aufzeigen und besprechen.
Die gezeigten Profile basieren auf firmeninternen Daten unserer Profildatenbank mit 3 verschiedenen Hierarchieebenen in den Unternehmen: C-Level, Führungskräfte und Experten. Führungskräfte umfassen undifferenziert Direktoren, Bereichsleiter, Hauptabteilung-, Abteilungs- und Teamleiter.
2. Einleitung
„Führen bedeutet Orientierung geben, eine Vision und ein Leitbild entwerfen“ so Katrin Adt (2020).
Beim Führen kann man sich verschiedener Stile bedienen: Partizipativ oder hierarchisch, durchsetzungsstark oder attraktiv, transformational oder transaktional. Gemeinsam haben alle eins: Sie zeigen ein spezifisches Verhalten. Und dieses Verhalten entsteht auf Basis bestimmter Kompetenzen, Werte und Eigenschaften. Und einige davon haben wir in unserer Datenbank analysiert und ausgewertet. Klar ist jedoch, dass Führungsstile z.B. durchsetzungsstark und attraktiv recht unterschiedliche Ausprägungen in den Kompetenzen und Eigenschaften erfordern. Die Werte aus unserer Datenbank sind nicht geclustert nach dem Führungsstil, sondern aggregiert durch alle Führungsstile hinweg.
Situativ betrachtet bedeutet, dass eine junge Führungskraft in einem Unternehmen mit NEW WORK- Kultur zu einem eher partizipativen, attraktiven und transformationalen Führungsstil neigen wird. Und hier daher sehen die Kompetenz- und Persönlichkeitsprofile anders aus als bei einem anders gelagerten Fall. In unserer Studie konnten wir Gründer von Unicorn – Unternehmen mit DAX – Vorständen vergleichen und hier im Persönlichkeitsprofil klare Unterschiede feststellen.
3. Komponenten eines Profils
Ein Profil ist die Abbildung der Ausprägung von bestimmten Attributen. Diese Attribute können Kompetenzen, Motive, Präferenzen, Werte, Persönlichkeit usw. betreffen.
Profile haben den unschlagbaren Vorteil der Offenlegung z.B. des Könnens eines Individuums in Bezug auf sich selbst (Veränderungen während eines Zeitraums), auf eine Organisation (Durchschnittswerte z.B. eines Unternehmens), auf eine Funktion oder Position usw. Damit dient ein Profil der Situationsbestimmung. Diese kann für einen Jobwechsel innerhalb oder außerhalb des Unternehmens von Nutzen sein. Relevant ist aber dann, wie sieht das konkrete Profil des Individuums und der Stelle (das sogenannte Job- oder Anforderungsprofil) aus?
4. Welche Attribute beinhaltet ein Profil?
Um ein menschliches Modell einigermaßen vollständig zu beschreiben, sind ca. 275 Attribute notwendig (Widuckel & de Molina 2021). In diesem Artikel betrachten wir nur einen Bruchteil davon: Einige Kompetenzen, Persönlichkeit, Emotionen und Sprache.
Das hier verwendete Kompetenzmodell wurde zusammen mit Prof. Dr. Joachim Thomas von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt entwickelt und wird mittels Fragebögen in Selbsteinschätzung mit einer 6er Likert Skala. Die restlichen Attribute werden mittels eines zeitversetzten Videointerviews erfasst und über künstliche Intelligenz auswertet, siehe de Molina (2021). Hier handelt es sich um eine Fremdbewertung. Damit haben wir eine Kombination aus Selbst- und objektiver Fremdeinschätzung.
Das Kompetenzmodell besteht aus 4 Kompetenzklassen: Methodenkompetenzen, Soziale, Personale und Aktionale Kompetenzen. Und darunter 25 Kompetenzen fest den Klassen zugeordnet.
Das heutige Kulturmodell in ThinkSimple+ wurde mit Prof. Werner Widuckel von der FAU und es besteht aus 5 Dimensionen: Werte, Führung, Aufgaben, Anreize und Normen.
Fürs Persönlichkeitsmodell wurde das Big5 – Modell von McCrae, R. R., & Costa, P. T. (1987) verwendet. Die Attribute sind: Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus.
Sind diese Eigenschaften tatsächlich so wichtig für die Prognose des beruflichen Erfolges?
„Judge (2002) zeigt, dass Persönlichkeitseigenschaften offenbar von großer Bedeutung für zwei Aspekte des Führungserfolgs: Wer überhaupt in Führungspositionen gelangt (Führungsemergenz) und wer die Leistung seiner Mitarbeitenden positiv beeinflusst (Führungseffektivität)“.
Emotionen sind Zustände ausgelöst durch einen Reiz. Für die Emotionen wurde das Modell von Paul Ekman (in Schmidt-Atzert, L. et al. 2014) und das Organon Modell von Karl Bühler (1999) für die Sprache (Kommunikation) verwendet.
Die betrachteten Emotionen umfassen: Furcht, Kummer, Missmut, Gelassenheit, Abweisung, Freude und Emotionale Stabilität.
Aus den 7 erfassten Emotionen ermitteln wir den Emotions-Index. Der Vorteile von diesem KPI liegt darin, dass es sich um einen aggregierten Wert handelt und damit stabiler und umfassender. Damit dient er der Ermittlung der Veränderungen im emotionalen Zustand.
In der Sprache wurden drei Attribute erfasst: Positive Formulierungen, Negative Formulierung und Einnehmende Sprache.
Aus den drei Werten lässt sich ein KPI namens Sprachen-Index ableiten.
Nach Peterson (2021) kann man an den verbalen Formulierungen den Führungsstil (durchsetzungsstark oder vielmehr attraktiv) erkennen. Im ersten Fall: Spricht länger, schneller, lauter, kaum Füllwörter, mehr Humor & Sarkasmus. Im zweiten Fall: Indirekte Wortwahl, inklusive Sprache, entspannte Aussprache, Fragen stellend.
Gerade für Positionen mit hohem Kommunikationspensum wie Vertrieb, Marketing und Führungskräfte ist ein hoher Sprachen-Index ein wichtiger Indikator für den Job-Fit.
Im 6. Kapitel werden wir anhand von gemessenen Werten Indikatoren für verschiedene Positionen liefern.
5. Messverfahren
Im Kapitel 6 präsentieren wir einige Ergebnisse von gemessenen Profilen. Diese entstammen ausschließlich von der anonymisierten Datenbank unseres Tools ThinkSimple+. Bei den Kompetenzprofilen haben wir N> 2.000, bei den Persönlichkeitsprofilen N> 100. Bei den letzteren handelt es sich aufgrund der geringen Anzahl von Profilen nur um Tendenzwerte, die der Bestätigung bedürfen. Der Vorteil bei den Persönlichkeitsprofilen liegt darin, dass dazu Videomaterial vorliegt. Dieses erlaubt eine ergänzende Bewertung durch den Betrachter.
Dieses Tool verwendet eine multimodale Messtechnik: Fragebögen und KI-basierte Analyse von zeitversetzten Interviews. Wir analysieren mit dem Tool 6 berufsrelevante Gruppen von Attributen (siehe Bild 1).
Bild 1: Personaldiagnostik mit systemischem Ansatz und multimodaler Technologie.
6. Gemeinsame Merkmale von Führungskräfte-Profilen
In den vorgehenden Kapiteln haben wir den Boden für die Ergebnisdaten vorbereitet: Vorstellung der Modelle, der Messverfahren, der Chancen und Grenzen.
In diesem Kapitel präsentieren wir die Ergebnisse und besprechen deren Impact auf die Nachfolgeplanung, auf das Auswahlverfahren von Führungsnachwuchskräften, auf den Executive Search usw.
Im Bild 5 haben wir die Werte aller vier Kompetenzklassen von CXO (Vorstand bzw. Geschäftsführung), Middle Management und Experten (Fachkräfte bzw. Sachbearbeiter) dargestellt. Hier finden Sie auch den Durchschnittswert aller Kompetenzen. Dieser Wert liegt bei CXO höher als bei Führungskräften und Experten. Diese Ergebnisse sind zugegeben auf der Basis von Selbsteinschätzungen entstanden. Die ermittelten Ergebnisse steht in Konkordanz mit früheren Ergebnissen von anderen Fragebögen und wird von unserer Projektarbeit mit Kunden bestätigt.
Im Bild 6 haben wir 8 von den 25 Kompetenzen aus dem Kompetenzmodell ausgewählt, wo es einen signifikanten Unterschied zwischen den drei Gruppen (CXO, FK und Experten) gibt.
Umfeld gestalten, Agilität, Interessen durchsetzen, Kommunikationsstärke, Situationen verstehen und Lösungsorientierung sind sicherlich Kompetenzen, wo Führungspersonen ihre Stärken haben müssen. Bei Innovationen und Empathie hätten wir es nicht erwartet. Diese erleichtern jedoch die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden, weil sich diese verstanden (Empathie) und bei der Implementierung neuer Technologien (Innovationen) von der Führung nicht ausgebremst werden.
Bild 6: Kompetenzvergleich bei ausgewählten Kompetenzen, wo CXO und Führungskräfte einen signifikanten Unterschied zu den Experten aufweisen.
Für die Betrachtung der Persönlichkeitsprofile haben wir andere Kohorten ausgewählt, die uns sehr interessant erscheinen: Gründer von Unicorn-Startups und DAX-Vorstände, und keine Führungskräfte aus dem Middle Management. Unicorn bezeichnet man junge Unternehmen mit einem Kapitalwert von über 1 Milliarde. Hier seien z.B. Delivery Hero, N26, Celonis aus Deutschland und LinkedIn, Airbnb, Uber aus den USA erwähnt.
Bild 7: Persönlichkeitsprofile von Unicorn-Gründern, DAX-Vorständen und Experten.
Die Profile bestätigen meine persönliche Vermutung: Gründer von sehr erfolgreichen Unternehmen haben ein sehr ausgeprägtes Profil: Sehr offen, zumeist sehr extrovertiert, sehr verträglich und zugleich mit geringem Neurotizismus. Leider liegen uns zu wenig Kompetenzprofile von Gründern vor, um hier eine ergänzende Betrachtung zum Persönlichkeitsprofil anzustellen: Risikobereitschaft, eigenen Fähigkeiten vertrauen, selbstbestimmt handeln usw.
Oben haben wir die Unterschiede in den Profilen von Gründern und Vorständen festgestellt. Beide weisen eine „Trapezform“ auf, siehe Bild 7. Im Wesentlichen haben Offenheit und Extraversion einen höheren Wert als Neurotizismus. Da diese Kohorten High Performer sind, erlauben wir uns dieses Profil so zu benennen, siehe Bild 8.
Bild 8: Charakteristisches Profil eines High Performers.
7. Anwendung für Executive Search und Talentmanagement
Bei der Personalauswahl will man sicherstellen, dass die „Richtigen am richtigen Platz“ sind. Das gilt dann besonderes bei der Auswahl von Führungskräften, da diese die „Säulen des Unternehmens“ bilden. Wie erkennt man, ob jemand die passende Führungskraft ist? Diese ist eine situative Entscheidung, d.h. kontextabhängig. Für einen Turnaround suchen Sie sicherlich jemand anders als für ein Change-Management. Nichtsdestotrotz brauchen Führungskräfte in beiden Fällen die gleichen Grund-Kompetenzen.
In diesem Artikel haben wir die Ausprägung von einigen Attributen vorgestellt, die unserer Meinung nach Orientierung bei der Auswahl von Führungskräften geben können. In späteren Artikeln wollen wir uns ergänzend mit Werten, Motiven und Präferenzen befassen.
Im Prozess der Personalauswahl haben sich mehrere Verfahren herausgestellt, siehe Langer (2018). Zu Beginn des Jahrhunderts führte Google als einer der ersten Unternehmen die Telefoninterviews noch vor den Präsenzterminen. Die Recruiting-Verfahren wurden bei allen Unternehmen im Laufe der Zeit verfeinert. Stracke (2015) hat das bewährte Konzept des Interviews genauer analysiert. Namhafte Diagnostiker wie Prof. Kersting (2019) und Kanning (2018) haben in Videos deren Konzepte erklärt.
Im Bild 14 haben wir eine kleine Auswahl von etablierten Verfahren bei der Personalauswahl dargestellt. Wir haben uns erlaubt an die Stelle der Online-Verfahren unser Produkt einzusetzen, weil es sich um ein systemisches und multimodales Verfahren handelt. Andere im Markt etablierte Produkte könnten ebenfalls hier Platz finden. Dieses Bild soll in den zwei Dimensionen Genauigkeit versus Schnelligkeit die Stärken und Schwächen üblicher Verfahren zeigen. Göhring (2021) gibt folgende Werte für die Genauigkeit (Trefferquote einer erfolgreichen Einstellung) an:
Interview mit geschultem Personal: 20%
Strukturiertes Interview: 40%
Multimodaler Online-Test: 70%
Assessment Center (1 bis 2 Tage): 80 bis 90%
Damit bestätigt Göhring unsere Aussage vom Bild 14 und zeigt das Potenzial von multimodalen Online-Tests. Diese können als Alternative zum aufwendigen Assessment Center angesehen werden.
Bild 14: Im Prozess der Personalauswahl können verschiedene Methoden der Diagnostik eingesetzt werden. Relevant dabei sind Genauigkeit, Schnelligkeit, Zeit- und Kostenaufwand, sowie Objektivität versus Subjektivität.
8. Ausblick
Für spätere Studien werden weitere Kompetenzen aus neuen Modellen wie z.B. Schirmer, U. (2020) hinzugezogen. Dazu kommen die Werte, Motive und Präferenzen.
Solange es Unternehmen gibt, wird es Personalauswahl geben und hier sollen Diagnostiker den HR-Verantwortlichen Methoden und Tools an die Hand geben, damit sie ihre Arbeit genau, objektiv, schnell und kostengünstig durchführen können.
9. Take Aways
Für die interne wie externe Auswahl von Führungskräften sind stellenbezogene Anforderungsprofile erforderlich, die dann von den Kandidaten gematcht werden müssen.
Eine unternehmensspezifische Datenbank mit charakteristischen Merkmalen von Führungskräften liefert die Basis für die Anforderungsprofile. Solange diese nicht vorliegen, lassen sich generische Profile von Tool-Anbietern verwenden. Diese Profile dürfen nicht für eine automatisierte Auswahl missbraucht werden. Wohl aber für eine Priorisierung und Information vor dem Interview.
Die Anforderungsprofile einer Führungskraft müssen folgende Attribute beinhalten:
Kompetenzen
Eigenschaften
Emotionen
Sprachformulierungen
Motive
Werte
Präferenzen
Das verwendete Verfahren der Personalauswahl soll die Subjektivität der Bewertung auf ein Minimum reduzieren. Hierfür helfen Ausbildung der Bewerter gemäß DIN 33430 und die Verwendung von objektiven Testverfahren.
Quellen
Adt, K. in VDI- Nachrichten 17.4.2020
Barrett, L. F. (2017) How Emotions are made: The Secret Life of the Brain
Bass, B. M. & Riggio, R. E. (2006) Transformational Leadership, Psychology Press
Bühler, K. (1999) Sprachtheorie. Darstellungsfunktion der Sprache, Stuttgart
Kanning, U.P. (2016) Über die Sichtung von Bewerbungsunterlagen in der Praxis der Personalauswahl, in: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie A&O, 60, S. 18-32
Kearney, E. (2019) in Personalführung 4/2019 S. 17-21.
Keller, T. & Weibler, J. (2015). What it takes and costs to be an ambidextrous
manager: Linking leadership and cognitive strain to balancing exploration
and exploitation. Journal of Leadership & Organizational Studies,
Krumm, S.; Schmidt-Atzert, K. (2009), Leistungstests im Personalmanagement, Hogrefe
Langer, M. et al. (2018) Algorithmen bei der Personalauswahl – eine kritische und hoffnungsvolle Betrachtung, in: Wirtschaftspsychologie aktuell, 1, 36-4
McCrae, R. R., & Costa, P. T. (1987). Validierung des Fünf-Faktor-Persönlichkeitsmodells of über Instrumente und Beobachter hinweg. Journal of Personality and Social Psychology, 52(1), 81– 90